Beitrag des Eric-Kandel-Gymnasiums
Liebe Teilnehmerinnen des diesjährigen Gang des Erinnerns. Wir sind das Geschichtsprofil des Eric-Kandel-Gymnasium und begrüßen sie herzlich. Mit einem kleinen Rollenspiel möchten wir Ihnen heute einen Einblick in das Leben der Familien Lehmann und Eickhorst zu Zeiten des NS-Regimes geben. Wir befinden uns ungefähr im Jahre 1933.
Herr Lehmann und Frau Eickhorst treffen hier in Ahrensburg zufällig aufeinander:
Frau Eickhorst blickt zu Boden, wegen Tränen in den Augen, ein Korb im Arm. Da ihr Blick gesenkt ist, sieht sie Lehmann nicht, die beiden prallen zusammen, der Korb fällt hinunter, Lehmann hebt ihn auf und sagt: „Oh, entschuldigen Sie bitte“ , er sieht Eickhorsts Tränen und fragt: „Wehrte Dame, ich würde mir nie erlauben übergriffig zu wirken, aber ist alles in Ordnung?
Frau Eickhorst seufzt: „Um ehrlich zu sein nicht. Uniformierte kamen heute an meiner Apotheke vorbei und haben Schilder wie diese angebracht.“ Sie zeigt Schilder aus ihrem Korb [Deutsche kauft nicht bei Juden] „Können Sie sich das vorstellen? Ich habe große Angst und bin von Sorgen nur so geplagt. Wie soll mein Leben denn ohne mein geliebtes Geschäft weiter gehen?!“
Herr Lehmann: „Es ist wirklich eine Schande. Es ist unvorstellbar wie mit uns umgegangen wird. Mir wurden schon Handelsbeschränkungen für mein Getreideunternehmen aufgezwungen. Mir reicht es ebenfalls. Ich kann so nicht weitermachen. Ich denke es wäre besser zu fliehen, und um unverblümt mit Ihnen sein, ich denke Sie sollten das gleiche tun. Meine Familie und ich haben uns bereits für Südamerika entschieden.“
Frau Eickhorst: „…Ich weiß es doch. Doch es fällt mir schwer, die Apotheke zurückzulassen. Sie ist alles, was ich habe, und ich kann mir nicht vorstellen sie aufzugeben. Sie lächelt traurig: „Der Kapitän geht immer mit seinem Schiff unter.“
Herr Lehmann nickt verständnisvoll aber getroffen, blickt kurz zu Boden: „Ich verstehe. Ich würde mir für Sie ein besseres Schicksal wünschen, doch es ist Ihre Entscheidung. Er lächelt traurig: „Sie stehen das durch.“
Frau Eickhorst: „Haben sie vielen Dank. Ich wünsche Ihnen viel Glück bei Ihrer Reise und dem weiteren Prozess.“ Herr Lehmann: „Dankeschön, Ihnen ebenfalls nur das Beste.“ Frau Eickhorst lächelt: „Vielleicht sieht man sich ja irgendwann wieder.“ Herr Lehmann nickt: „irgendwann.“
Sämtliche männlichen Mitglieder der Familie Lehmann wurden während der Novemberprogrome nach Sachsenhausen in ein KZ gebracht. Nach ihrer Freilassung beschlossen sie auszuwandern. Allerdings herrschte während der Zeit eine Reichsfluchtsteuer und es waren Zahlungen wie die Judenvermögenabgabe zu leisten, was schließlich zu einer Summe von etwa 28.000 Reichsmark führte. Um diese hohe Summe bezahlen zu können, blieb ihnen nur ihr Haus und Grundstück zu verkaufen. Der eigentliche Wert wurde hierbei auf 40.000 RM eingeschätzt. Gezahlt hat der Käufer allerdings nur 25.000 RM. Die Lehmanns fühlten sich mit diesem Angebot hintergangen. Jedoch hatten sie keine andere Wahl, als das Angebot anzunehmen, um ihren Auswanderungsplänen nachgehen zu können. Ganz in Vergessenheit geriet dies aber nicht. Ende des Jahres 1947 erhoben sie Klage auf Rückerstattung.
Ernst Walther, Anwalt der Familie Lehmann:
„Ich bin Ernst Walther, der Anwalt der Familie Lehmann. Ich war mit zuständig für die Klage auf Rückerstattung des Vermögens. Denn wie Sie eben hörten, war eine Flucht mit vielen Steuern verbunden. Somit wurden Familien gezwungen für ihre Sicherheit, ihr Hab und Gut, ebenfalls Grundstücke, für einen schlechten Preis zu versteigern. Und nicht nur das, es wurden ebenfalls große Teile des Vermögens entzogen. Leider war dies schwierig nachzuweisen. Und auch Sie fragen sich sicher, ob nach den vergangenen Jahren die Rückerstattung überhaupt noch realisierbar war. Doch es geht hier um so viel mehr als das. Die Klage steht für mehr. Die unfaire Behandlung der von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen auch hier in Ahrensburg ist eine so unbeschreibliche Unmenschlichkeit gewesen, und darf so nie wieder geduldet werden. Der Fall der Lehmanns ist nur ein Beispiel von unzähligen weiteren. Und deshalb kämpfen wir. Für ein Stückchen in die Richtung der Gerechtigkeit. Für Frau Eickhorst. Für alle anderen Opfer dieser schrecklichen Zeit.
Gemeinsam mit Friedrich Eickhorst als Vermögensverwalter für Harry Hirsch Lehmann reichten wir erstmal den Antrag auf Rückerstattung von Vermögen im Jahr 1947 ein. Daraufhin durchliefen wir einen Prozess, welcher sich über mehrere Jahre hinweg zog. Die Familie Lehman residiert während dessen noch in Brasilien. Unser großes Ziel, die Rückgabe des Villengrundstücks in der Hagener Allee 25 in Ahrensburg.“
Der neue Besitzer war nun Ingenieur Wilhelm Eugen Kreiss. Leider waren genau wie in fast allen anderen Aspekten, auch hier die Unterlagen bezüglich den Judenvermögensabgaben und ähnlichem vernichtet worden, und machten den Antrag umso schwerer. Die letztendlichen Forderungen, gestellt im Jahr 1951, der Familien Lehmann und Eickhorst beinhalteten unter anderem Gold, Silber und andere Güter. Für diesen Antrag waren erneut legitime Beweise gefordert. Und an denen mangelte es. Als Beweis für die Zahlungen lag von Lehmanns nur ein Sicherungsbescheid des Finanzamtes Stormarn vor. So kam es dann am 03.04.1956 zu einer Abweisung der Klage.
Die simple Begründung, es fehle an Beweisen und daher sei anzunehmen, dass die Lehmanns ihr Vermögen freiwillig und „in ihrem eigenen Auftrage“ versteigerten. Es wurde demnach geschlussfolgert, dass eine Entziehung der Sachen seitens des Deutschen Reiches nicht vorlag. Somit sei das Reich nicht in den Besitz der Dinge gelangt, und auch nicht rückerstattungspflichtig. Höchstens die Personen, die die Dinge ersteigert hatten, könnten jene Rückerstattung anbieten. Da die Versteigerungsprotokolle jedoch auch nicht mehr existierten, kann nichts weiter passieren.
Klage abgelehnt.
Abschließend möchten wir uns bei Ihnen bedanken, dass Sie uns durch dieses Kapitel der Geschichte begleitet haben. Die Geschichten von den Familien Lehmann, Eickhorst und allen anderen sind nur einige Beispiele der unzähligen Schicksale, die durch das NS-Regime zerstört wurden. Ihre Erfahrungen zeigen uns, wie viel Leid und Verlust damals erlitten wurde und wie wichtig es ist, die Erinnerung daran wach zu halten. Wir hoffen, dass wir Ihnen einen Einblick in diese dunkle Zeit geben konnten – und dass diese Erinnerung uns alle daran erinnert, dass solche Ungerechtigkeiten niemals wieder geschehen dürfen.