Station 3 – Stolperstein für Magnus Lehmann

Beitrag des Eric-Kandel-Gymnasiums

Liebe Freundinnen und Freunde des Runden Tischs Ahrensburg, liebe Interessierte am „Gang des Erinnerns“,

das Eric-Kandel-Gymnasium möchten Sie heute mitnehmen auf eine Reise in die Vergangenheit zu einem fiktiven Gespräch mit Gertrud Eickhorst und Harry Lehmann, zwei früheren jüdischen Mitbürgern hier aus Ahrensburg, die von ihren Erlebnissen aus der Zeit des Nationalsozialismus berichten werden. Dabei haben wir uns anhand der Quellen, die noch überliefert sind, Gedanken dazu gemacht, wie die Antworten der beiden wohl ausgesehen hätten.

Liebe Frau Eickhorst, lieber Herr Lehmann, bitte stellen Sie sich doch einmal kurz vor.

Gertrud Eickhorst:
Guten Tag. Mein Name ist Gertrud Eickhorst. Ich wurde am 28. Mai 1896 in Hammerstein in Westpreußen geboren. Mit meinem Mann Friedrich habe ich in Ahrensburg gelebt. Hier habe ich 1926 die „Adler-Apotheke“ von meinem Vater übernommen und sehr erfolgreich geführt. Die Apotheke befand sich in der Hamburger Straße.

Harry Lehmann:
Guten Abend. Ich heiße Harry Lehmann. Schon über mehrere Generationen hinweg führte meine Familie ein glückliches und erfolgreiches Leben hier in Ahrensburg. Zusammen mit meinem Bruder Ludwig betrieb ich das Getreide- und Futtermittelgeschäft unserer Familie äußerst erfolgreich. Gewohnt haben wir in einer Villa in der Hagener Allee 45.

Haben Sie gerne in Ahrensburg gelebt?

Gertrud Eickhorst:
Oh ja. Wir hatten vor 1933 ein sehr schönes Leben in Ahrensburg. Wir haben uns sehr gut mit unseren Nachbarn verstanden und die Apotheke lief äußerst erfolgreich.

Harry Lehmann:
Auch wir haben sehr gerne in Ahrensburg gelebt. Unsere Familie ist hier schon seit Generationen ansässig gewesen. Das Futtermittelgeschäft lief sehr erfolgreich und wir waren fest in die Ahrensburger Gesellschaft integriert. Regelmäßig habe ich mich zum Beispiel mit meinen Freunden vom Kegelverein Ahrensburg getroffen.

Wie hat sich Ihr Leben nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten
verändert?

Harry Lehmann:
Also, wir haben zunächst, um ehrlich zu sein, kaum etwas davon gemerkt. Der Kontakt zu den Ahrensburgern war nach wie vor freundschaftlich und eng. Man kennt sich in der Stadt ja. Und selbst als am 1. April 1933 auch unser Futtermittelgeschäft boykottiert werden sollte, haben sich die Wachposten vor dem Unternehmen bei uns sogar für ihr Auftreten entschuldigt.

Gertrud Eickhorst:
Also, bei uns war das ganz anders. Auch vor der „Adler-Apotheke“ erschienen am 1. April Uniformierte mit Schildern „Kauft nicht bei Juden“ und entschuldigt hat sich niemand von ihnen. Wir wurden nach 1933 sehr schlecht behandelt, selbst unsere ehemaligen Freunde hielten sich von uns fern.

Ab welchem Zeitpunkt haben Sie Ihre Hoffnungen auf ein weiteres Leben in
Ahrensburg verloren?

Gertrud Eickhorst:
Das war im November 1939. Ohne Angabe von Gründen wurde ich in meiner Wohnung verhaftet und in ein Frauenzuchthaus in Lübeck verschleppt. Mein Mann suchte verzweifelt nach mir und wandte sich auch an die Gestapo-Stelle in Kiel. Dort sagte man ihm „Wenn Sie Ihre Judensau wieder haben wollen, müssen Sie aus Ahrensburg verschwinden!“ Das haben wir dann auch gemacht. Meine Apotheke wurde zwangsverpachtet und Friedrich und ich sind nach Hamburg gezogen.

Harry Lehmann:
Bei uns war es der 9. November 1938. Immer glaubten wir fest daran, in Ahrensburg bleiben zu können, doch in der Reichspogromnacht wurden die männlichen Mitglieder meiner Familie verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Dort machte man uns deutlich, dass wir Deutschland verlassen müssen. Deshalb sind wir nach Südamerika ausgewandert.

Wie wurden Sie in der Nachkriegszeit behandelt?

Harry Lehmann:
Na ja, wir hatten alles verloren. Unsere Villa war zu einem Schnäppchenpreis verkauft worden und unter anderem wegen der Reichsfluchtsteuer blieb uns kaum noch etwas. Zum Glück hat Frau Eickhorsts Mann Friedrich sich hier in Deutschland um unsere Wiedergutmachungsansprüche gekümmert. Aber die Behörden zeigten sich zumeist sehr ablehnend. Für unsere Villa haben wir nur eine geringe Entschädigungssumme erhalten und die Oberfinanzdirektion in Kiel behauptete sogar, wir hätten die Judenvermögensabgabe damals „freiwillig“ gezahlt.

Gertrud Eickhorst:
Auch für uns war es nach 1945 sehr schwer. Wir sind nach Ahrensburg zurückgekehrt, doch unsere Apotheke haben wir erst nach Jahren zurückerstattet bekommen. Für meine körperlichen Schäden, die ich im Zuchthaus erlitten hatte, bekam ich zwar eine Entschädigung zugesprochen, doch immer wieder haben die Behörden mir Steine in den Weg gelegt. Sie haben sogar behauptet, ich würde mich an den Medikamenten, die mir zugesprochen waren, finanziell bereichern.
Insgesamt haben sich die Behörden in Schleswig-Holstein nach 1945 mir gegenüber sehr ablehnend verhalten.

Liebe Frau Eickhorst, lieber Herr Lehmann, wir möchten uns herzlich dafür bedanken, dass Sie uns am heutigen 9. November, der vor 85 Jahren so tiefe Spuren in Ihrem Leben hinterlassen hat, etwas über Ihre Erlebnisse in Ahrensburg zur Zeit des Nationalsozialismus und nach 1945 erzählt haben.
Liebe Interessierte am Gang des Erinnerns, wir hoffen, dass Sie einen kleinen Einblick bekommen haben in das Leben von zwei Ahrensburgern, die hier in unserer Stadt als Juden verfolgt und vertrieben wurden und hoffen, Sie beim nächsten „Gang des Erinnerns“ zu treffen.